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Das SWR Vokalensemble (Foto: Lena Semmelroggen)

Imponierende Vielfalt beim SWR Vokalensemble in der Liederhalle

Lesezeit: 2 Minuten

Munter und unbeschwert ging es beim SWR Vokalensemble zu im lateinamerikanischen Programm zur Adventszeit. Spaßverderber hatten glücklicherweise keine Chance, findet Jürgen Hartmann.

Muss es denn immer der woke Zeigefinger sein? Auch beim ausgesprochen munteren, eigentlich unbeschwerten Weihnachtskonzert des SWR Vokalensembles wedelte er dazwischen. Die Musik aus Lateinamerika, die Yuval Weinberg, der zauberschön singende Chor und die überaus versierten Mitglieder des Freiburger Barockorchesters mit sichtbarem Vergnügen vortrugen, sei im kolonialistischen Zusammenhang zu sehen, belehrte uns das Programmheft. Das dürfe nicht vergessen werden! Die Begegnung der lateinamerikanischen und europäischen Ausdrucksformen sei „nur im Kontext der Kolonialisierung möglich (gewesen), einer historischen Entwicklung, die kritisch zu hinterfragen ist“. Darauf wären wir von allein bestimmt nicht gekommen.

Stets gutgelaunt: Chefdirigent Yuval Weinberg (Fotos: SWR/Lena Semmelroggen)

Publikum und Ausführende ließen sich den Spaß nicht verderben: „Ja!“, rief eine Zuschauerin, als der stets gutgelaunte Dirigent zum erneuten Besuch im nächsten Jahr aufrief. Yuval Weinberg verbindet eine unanfechtbare Schlagtechnik mit einem Körper- und Mienenspiel, das für das Livestream-Publikum viele Überraschungen bereithält.

Gleiches tat das musikalische Programm. Fünf zeitgenössische Kompositionen aus Kuba, Argentinien und Brasilien gliederten sich bruchlos ein in die imponierende Vielfalt von Werken aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die der Dirigent zusammengesucht hatte. Das in ganz Südamerika verbreitete Weihnachtslied „Señora Doña María“ bildete in sehr unterschiedlichen Versionen aus Bolivien und Chile den sanft wiegenden, melancholisch optimistischen Schluss.

Bunte Lebensläufe und kulturelles Wechselspiel

Die Lebensläufe der Komponierenden sind bunt. Der 1685 geborene Spanier Diego José de Salazar hat Lateinamerika wahrscheinlich nie selbst besucht, aber Werke von ihm sind dort dokumentiert. Tomás de Torrejón y Velasco wurde in Spanien ausgebildet und war Kapellmeister an der Kathedrale in Lima (heute Hauptstadt von Peru). Juan de Araujo wurde 1646 in Spanien geboren und in Lima ausgebildet, bevor er kirchenmusikalische Ämter dort und im heutigen Ecuador bekleidete.

Aus Lateinamerika selbst stammen Gaspar Fernández, Juan García de Zéspedes und die wahrscheinlichen Urheber des „Hanacpachap Cussicuinin“, dem wahrscheinlich ersten mehrstimmigen Werk des Kontinents. In den Biografien der Zeitgenoss:innen Cláudio Santoro, Leo Brouwer, Juan Camilo Stafforini, Georgina Perazzo und Alex Nante tauchen öfters amerikanische, britische oder französische Lebens- und Ausbildungsorte auf. Das kulturelle Wechselspiel durchglitzert auch ihre Musik.

Klugerweise gab es nur wenige Applauspausen (die das Publikum weidlich nutzte). Einige der Werke fügten sich direkt aneinander. Es gab so viel zu hören: Verträumtes, Festliches, Jubelndes. Das SWR Vokalensemble zwischen höchster Präzision und ausgelassenem Durcheinander, das Freiburger Barockorchester zwischen barocker Strenge und bejubelter Trommelekstase.

Fehlte nur noch die Tanzfläche für das Publikum. Dieses Konzert war ein Abend der Entdeckungen, des Nachdenkens und der puren Freude – mit weltumgreifender Zugabe des im heutigen Österreich entstandenen Lieds von der stillen Nacht, die in spanischer Sprache eine Nacht des Friedens und der Liebe ist: „Noche de paz, noche de amor“.

Fotos: SWR/Lena Semmelroggen


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